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Geschäftsbericht des Landrates im Kreistag zur Corona-Pandemie

Herr Vorsitzender, verehrte Kolleginnen und Kollegen Mitglieder des Kreistages, verehrte Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren,

„Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“. Das wusste schon Bismarck.

Was den Kreistag anbelangt, hatten wir uns in der letzten Kreisausschusssitzung am 18. März darauf verständigt, keine Gremiensitzungen des Kreistages in Präsenz bis auf weiteres durchzuführen. Wir hatten auch alle aufschiebbaren Punkte der Tagesordnung auf eine spätere Befassungsgelegenheit verschoben. Mit Blick auf die hohen Belastungen, die wir bereits seinerzeit auf die heimische Wirtschaft haben zukommen sehen, haben wir uns einstimmig mit allen Fraktionen darauf verständigt, den Kämmerer und den Landrat zu ermächtigen, bis zum formalen Haushaltsbeschluss in der nächstmöglichen Kreistagssitzung, in fiktiver Vorwegnahme dieses Beschlusses, den Kreishaushalt regulär zu bewirtschaften und damit von einer einschränkenden vorläufigen Haushaltsführung einstweilen abzusehen.

Information deutlich intensiviert

Die Verwaltung hat im Gegenzuge zugesagt, kontrovers diskutierte Vorhaben zurückzustellen und den Kreistag über alle relevanten Vorgänge auf schriftlichem oder mündlichem Wege zu unterrichten. In diesem Zusammenhang hatten wir mehrere Telefonschaltkonferenzen mit den Fraktionsvorsitzenden. Darüber hinaus haben wir Sie alle auf den üblichen Wegen, aber auch durch eine gebündelte Information per E-Mail auf dem Laufenden gehalten. Auch dieser, deshalb ausführliche Bericht, dient diesem Anliegen. Ich denke, wir haben damit einen guten Weg gewählt, auch unter Geltung der Eindämmungsverordnung und der Erschwernis direkt miteinander zu kommunizieren, um die demokratischen Befassungsrechte des Kreistages hinreichend zu wahren.

Wie Sie alle beobachten konnten, haben wir unsere Informationsanstrengungen insgesamt deutlich intensiviert. Die Bürger werden wie bisher vorrangig über die Printmedien, über Hörfunk und Fernsehen mit Informationen versorgt.Da wir auf diesem Verbreitungswege allerdings nicht alle aus unserer Sicht relevanten Informationen an die Bürger herantragen können, haben wir zielgruppenspezifisch auch die Möglichkeit genutzt, Zeitungsannoncen zu schalten, insbesondere um anfangs die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger auf die insbesondere für sie bestehenden Gesundheitsgefahren deutlich hinzuweisen.

Wir nutzen auch den Internetauftritt des Landkreises und die sozialen Medien, um internetaffine Einwohner des Landkreises zu erreichen. Hier haben wir den zusätzlichen Vorteil, dass uns Reaktionen erreichen, aus denen wir Informations- und Steuerungsbedarfe ableiten können. Diese Plattform wird insbesondere vom Gesundheitsamt genutzt, um regelmäßig mit Daten und Fakten – auch in grafischer Darstellung – über die epidemiologische Entwicklung zu informieren. Zudem erläutert Herr Dr. Saldaña-Handreck wichtige Fragen beziehungsweise Verhaltensregeln aus diesem Kontext.Wir haben Leitfäden und Handreichungen herausgegeben.

Aus den Rückläufen und Reaktionen haben wir entnommen, dass viele Bürger im Landkreis aber auch eine Einschätzung der Lage und die Erläuterung der Handlungsstrategien der Kreisverwaltung erwarten. Deshalb ist der Landrat bislang mit vier Videobotschaften in Erscheinung getreten, die genau dieses Bedürfnis abdecken sollen.Die Verbindung der zum Teil einschneidenden Maßnahmen mit einem Gesicht eröffnet darüber hinaus eine wichtige Ventilfunktion, da bei einer für den Publikumsverkehr relativ abgeschotteten Verwaltung und einem nur eingeschränkten Dialog auch die Kritik oder die Unmutsäußerung möglich sein muss. Wir haben uns darum bemüht, die Fragen aber auch die zum Teil auch hemmungslose Kritik ernst zu nehmen und soweit die zivilen Umgangsformen gewahrt blieben, Antwort zu geben.

Eine solche Krisensituation verlangt auch, dass sichtbar Führung übernommen wird und die maßgeblichen Orientierungen und Überzeugungen, die uns in dieser Gesellschaft verbinden, immer wieder betont werden, damit wir auch regional beieinanderbleiben. Hier gilt es immer wieder, das Partikularinteresse vernehmlich gegen das Gemeinwohl abzugrenzen. Das ist der schwierigste Teil der Übung. Ich räume durchaus ein, dass das zum Teil belehrend wirkt. Aber mit mancher Begriffsstutzigkeit, insbesondere von Leuten, die sich immer so viel auf ihre Bildung zugutehalten, ist nur schwer umzugehen.

Jüngstes Beispiel: Da ist mir heute eine Rechnung zugegangen, in der ein Berliner Bürger Schadensersatz vom Landrat fordert, da er mangels Öffnung des Golfplatzes in Bad Saarow dringend auf einen anderen Platz ausweichen musste. Das hat ihn etwas über 1000 Euro zusätzlich gekostet. Sie sehen also, Corona gebiert auch ganz traurige Fälle.

Der eingeschlagene Weg war notwendig und richtig

Die Corona-Pandemie wurde von der Bundeskanzlerin als die größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung – ja sogar seit Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Nach einer längeren Phase der Beschwichtigung auf der Bundesebene klang das anfangs vielleicht etwas übertrieben. Nach acht Wochen eines weitgehenden Stillstandes unseres sozialen, öffentlichen wie auch privaten Lebens und insbesondere einer Ahnung von den uns noch drohenden wirtschaftlichen Kollateralschäden und der drohenden Belastung der öffentlichen Haushalte könnte diese Einschätzung aber ins Schwarze treffen. Wir haben gegenwärtig noch keinen Überblick über die sich andeutenden massiven Mindereinnahmen und Ausgabensteigerungen beziehungsweise die Abdeckung dieser Defizite durch entlastende Maßnahmen. Wir kennen aber bereits die neuralgischen Aufgabenbereiche, dazu rechnet der Öffentliche Personennahverkehr mit seinen Fahrentgeltausfällen, die Kosten der Unterkunft bei den Leistungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die Krankenhausdefizite, die Beschaffungsmaßnahmen für Schutzmaterial, das Sozialschutzpaket, welches die sozialen Unterstützungsstrukturen stabilisieren soll, um nur einmal die wesentlichen Posten zu benennen. – Und mittelbar natürlich der Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen bei den Städten und Gemeinden.

Jedenfalls hat die ganz überwältigende Mehrheit der Bevölkerung – und zwar mit einem ungewöhnlichen Zustimmungswert von 90 Prozent – die zum Teil drastischen Maßnahmen vor acht Wochen begrüßt und zum Teil sogar weitergehend eine Ausgangssperre gefordert. Die inzwischen mit diesen Maßnahmen erzielten Wirkungen zeigen, dass der eingeschlagene Weg notwendig und richtig war, um Leben und Gesundheit – also die höchsten Güter die unsere Rechtsordnung kennt – zu bewahren.

Der Erfolg führt natürlich zu einem deutlichen Stimmungswandel, so dass die Akteure in die Falle des sogenannten Präventionsparadoxons geraten. Man kann nämlich schlecht nachweisen, was man durch umsichtiges Handeln an Schadensfolgen verhindert hat. Ich erwähne dies auch, weil die aktuellen Zahlen nicht mehr auf die pandemische Kulisse und auch das mulmiges Gefühl verweisen, dass uns angesichts der Bilder aus Italien befiel, wo Militärkonvois die Särge der über 1000 Toten, die täglich zu beklagen waren, zu den Massengräbern fuhren. – Wo wir Ärzte an den Grenzen ihrer Möglichkeiten erlebten, die gezwungenermaßen zu Herren über Leben und Tod wurden, weil die Beatmungsplätze nur mehr für einen Bruchteil der bedürftigen Patienten hinreichen.

Diese Eindrücke bestimmten nicht nur die Bundesregierung und die Landesregierungen, sondern letztlich auch die Infektionsschutzmaßnahmen im Landkreis Oder-Spree – denn wir haben es schließlich mit demselben Virus zu tun. Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, dass ein dynamisches Infektionsgeschehen wie Covid-19 ein ebenso schnelllebiges Rechtsetzungs- und Reaktionsgeschehen zur Folge hat, mit der Konsequenz, dass das, was heute vehement Geltung beansprucht, morgen bereits überholt sein kann. Daraus entsteht verständlicherweise Unsicherheit und somit ein erheblicher Informations- und Klärungsbedarf.Dieses Hinweises bedarf es auch deshalb, weil, wie das immer so ist, nach einer unkalkulierbaren Lage, sich diejenigen zu Wort melden, die zwar keinen Beitrag zur Behebung der Misere geleistet haben, denen aber just in dem Moment, wo der Pulverdampf sich verzogen hat, mit schlauen Einwänden um die Ecke kommen und die Akteure darauf hinweisen, wie man das alles effektiver hätte gestalten können beziehungsweise dass die ergriffenen Maßnahmen wenig sinnhaft, überzogen oder auch rechtswidrig seien. Diesen Zeitgenossen sei gesagt: Die sich ins Bild drängenden Widersprüche kennen wir selbstverständlich auch.

Hinter der Eindämmungsverordnung steht ein klares Schutzkonzept

Gesetze, wie die Eindämmungsverordnung, die unter großem zeitlichen Druck zustande gekommen sind, und quasi Antworten quer durch alle Gesellschaftsbereiche geben sollen, fallen naturgemäß etwas grobschlächtiger aus. Deshalb verbleiben selbstverständlich auch Widersprüche, wenn man sie, ohne die besonderen Umstände zu berücksichtigen, falsch deutet. Auf die Details der Regelung kommt es im gegenwärtigen Kontext aber überhaupt nicht an. Hinter der Eindämmungsverordnung steht ersichtlich ein klares Schutzkonzept. Das heißt, entscheidend bleibt, die Gesamtzielsetzung zu verwirklichen. Deshalb sind die dort niedergelegten Verhaltensregeln nach den Maßstäben der alltagspraktischen Vernunft schlicht zu befolgen. Über die rechtlichen Unzulänglichkeiten kann man sich nach der Pandemie dann trefflich streiten. Die Eindämmungsverordnung bezieht ihre Wirkung auch nicht aus der Regelung als solcher, sondern daraus, dass wir alle als aufgeklärte Bürger aus Einsicht in die Notwendigkeit und aus Loyalität gegenüber dem Rechtsstaat diesen Regeln Geltung verschaffen.

Es haben sich inzwischen Bürger aufgemacht, um uns in diesem gesellschaftlichen Zusammenhalt zu irritieren und mit dümmlichen Behauptungen, verschwörungstheoretischer Provenienz unsere Vorsicht und unsere Schutzvorkehrungen lächerlich zu machen. Selbstverständlich dürfen diese Zeitgenossen ihre kruden Theorien auch im öffentlichen Raum verbreiten – auch das ist Ausdruck der Meinungsfreiheit. Wir wollen Ihnen aber unmissverständlich bedeuten: Sie haben dennoch keinen Anspruch darauf, dass wir sie in diesen Nonsens ernst nehmen. Auch den Behauptungen, hier würde quasi von Verantwortlichen, die an Recht und Gesetz gebunden handeln, die Grundrechte abgeschafft, bedarf einer eindeutigen, gerade auch politischen Zurückweisung.

Wenn diese Leute ernsthaft etwas für die Menschenwürde tun wollen, dann ist es vielleicht eine naheliegende Überlegung, die alleinlebende Oma anzurufen oder für ältere Leute in der Nachbarschaft einzukaufen.

Meine Damen und Herren: Wofür veranstalten wir eigentlich seit acht Wochen die ganze Übung? – Wir verteidigen hier jeden Tag unter Inkaufnahme auch eigener Gesundheitsrisiken, Leben und Gesundheit auch der Angehörigen dieser „Widerstandskämpfer“ – sie bekommen es nur nicht richtig mit. Wir sollten nur aufpassen, dass wir den groben Unfug nicht zu einer Widerstandshandlung adeln und über die mediale Bearbeitung den Eindruck erwecken, diese Exoten verträten eine Mehrheitsposition. Wir sollten uns deshalb insbesondere denjenigen zuwenden, die auch über Demonstrationen und mediale Meinungsäußerungen berechtigter Maßen diese Gesellschaft aufmerksam machen wollen, dass sie mit ihren existenziellen und wirtschaftlichen Nöten jetzt die nächsten sein müssen, denen unsere Solidarität und Aufmerksamkeit zu gelten hat.

Stabilisierung der Wirtschaft erfordert kreative Ideen, Mut und Initiative

Ich habe mich in der letzten Woche mit Vertretern heimischer Wirtschaftsbetriebe aus Fürstenwalde und Bad-Saarow getroffen und mir schildern lassen, was da abseitig von der Wirtschaftsförderertheorie und den Rettungspaketen im Einzelfall wirklich drückt, wenn man, obwohl man für die zurückliegenden Jahre exzellente Geschäftsabschlüsse vorlegen kann, trotzdem von den Banken keinen Kredit bekommt, weil diese natürlich nach der Finanzkrise auch am aufsichtlichen Gängelband geführt werden und zum Beispiel Festlegungen unterliegen, wonach etwa der Gastronomiebereich in die Hochrisikokategorie fällt, dem keine Bonität bescheinigt werden kann. Und auf der anderen Seite ist es natürlich selbsterklärend, dass eine Branche, wie die Messe- und Veranstaltungstechnik ohne Perspektive ist, solange grundsätzlich keine Veranstaltungen zugelassen werden. Ähnliches betrifft das Catering. Auch in der Gastronomie bleibt abzuwarten, wie das Publikum auf die Abstandsregeln und Hygieneempfehlungen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes und der für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden reagiert.

Jetzt beweist sich auch, ob kommunale Wirtschaftsförderung wirklich greifbar Unterstützung leisten kann oder ob wir nur mal abstrakt darüber reden wollen. Es sind in den kommenden Wochen kreative Ideen, Mut und Initiative vonnöten, um unsere mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur zu stabilisieren und damit einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Der Landkreis hat nur beschränkte direkte Unterstützungsmöglichkeiten. Hier sind aber auch die unter dem Dach des Landrates versammelten Sonderordnungsbehörden in einer besonderen Verantwortung, was ihre Genehmigungs- und Kontrollpraxis anbelangt.Überall dort, wo Organisations-, Beurteilungs- und Ermessenspielräume bestehen, erwarte ich – und ich denke, ich spreche da auch in ihrem Namen – eine gemessen an der notstandsähnlichen Situation wirtschaftsfreundliche Handhabung bis zur Gefahrengrenze - in enger Fühlungnahme mit den kommunalpolitisch verantwortlichen Beigeordneten beziehungsweise mit mir. Eine gewisse intellektuelle und mentale Beweglichkeit ist jetzt das Gebot der Stunde.

Das gilt in umgekehrter Hinsicht allerdings auch für die Nachfragerseite. Wir müssen liebgewordene Gewohnheiten im Moment situationsadäquat ebenso zurückstellen. Auch wir Bürger sollten uns bei unserem persönlichen Konsumverhalten im wohlverstandenen Eigeninteresse einmal überlegen, ob es eigentlich zwingend ist, jeden Konsum- und Lieferwunsch über bekannte amerikanische Adressen abzuwickeln, oder ob nicht vielleicht der Bedarf auch um die Ecke beim Einzelhändler ihres Vertrauens abzudecken ist. Jedenfalls sollten wir die sich andeutenden Fehlentwicklungen im Auge haben. Wenn wir uns hier nicht intelligent verhalten, werden wir unsere Innenstädte in fünf Jahren nicht wiedererkennen.

Stabiles teamgestütztes Krisenmanagement etabliert

Deutschland hat die Pandemie bislang mit Bravour bewältigt. Das wird im Ausland allgemein bewundert. Und das, obwohl der Start Anfang März ausgesprochen chaotisch verlief – Sie haben das mitbekommen: Wir hatten über die ersten vier Wochen eine eklatante Mangelsituation bei der persönlichen Schutzausrüstung, sprich Schutzmasken, Schutzbrillen, Handschuhe, Desinfektionsmittel. Wir blickten auf einen Engpass, was Narkose- wie auch Schmerzmittel und teilweise sogar Sauerstoff anbelangte.

Wir verfügten in dieser Zeit weder über Testzentren noch über ausreichend eigene Kapazitäten im Gesundheitsamt, um die notwendigen Abstriche vornehmen und Infektionsketten systematisch und EDV-gestützt rückverfolgen zu können. Die Einbindung von Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Wohnheimen für Migranten in das Krisenmanagement - all das war erst noch konstruktiv zu lösen. Zeitgleich wurden die Strukturen des Gesundheitsamtes auf die neuen Anforderungen ausgerichtet.Das heißt:

  • Aufbau einer Testinfrastruktur – in der Endausprägung sechs Testzentren sowie eine mobile Testeinheit gemeinsam mit niedergelassenen Ärzten und der Kassenärztlichen Vereinigung. Deshalb fordern wir vom Bundesgesundheitsminister, die Verwirrung um die Weiterführung der Testzentren wie auch die Ausweitung der Testungen aufzuklären.
  • Aufbau einer Kontaktkettenrückverfolgung sowie eines Quarantänemanagements.
  • Etablierung einer Bürgerhotline
  • Absicherung einer engen Anbindung an das Gesundheitsministerium und die erweiterte Verwaltungskonferenz beziehungsweise den Verwaltungsstab
  • Aufbau eines Aufsichts- und Kontrollregimes mit entsprechender juristischer Begleitung und Vollzugsdienstkräften.
  • Das bedingt den Aufbau ganz neuer Arbeitsbereiche und eine dem Aufgabenanfall entsprechende Personalzuführung. Wie Sie wissen, haben wir im Gesundheitsamt inzwischen Unterstützung durch Ärzte des MdK sowie durch unsere ehemalige Amtsärztin, Frau Dr. Baumann, von Studenten, Rettungssanitätern und fünf Bundeswehrsoldaten.

Es ist uns innerhalb von sechs Wochen gelungen, auch mit großer Unterstützung der Bürgermeister und Amtsdirektoren, ein stabiles teamgestütztes Krisenmanagement zu etablieren, welches uns auch dank einer fortschrittlichen digitalen Bearbeitung vor die Lage gebracht hat. Insofern kann man den Mitarbeitern im Gesundheitsamt und den externen Akteuren, aber auch der Innenverwaltung: Personal und Organisation, EDV, Service, der Stabsstelle des Brand-, Zivil- und Katastrophenschutzes und den um die 100 Mitarbeitern, die alternierend in das Geschehen eingebunden waren, nur höchste Anerkennung zollen.

Die Pandemie ist zwar eingedämmt, aber nicht überwunden

Vielleicht können wir auch deshalb im Landkreis Oder-Spree auf ein vergleichsweise moderates Infektionsgeschehen zurückblicken. Auch wir sind an problematischen Ausbrüchen in unseren Gemeinschaftseinrichtungen, in den Alten- und Pflegeheimen, aber auch den Gemeinschaftsunterkünften an mehreren Punkten nur eben vorbeigeschrammt. Wir haben aber das große Glück gehabt, dass bei der Entdeckung erster Anzeichen umgehend und umsichtig gehandelt wurde.Die beste Infektionsschutzbehörde kann aber wenig ausrichten, wenn sie auf Seiten der Verantwortlichen in Krankenhaus und Gemeinschaftseinrichtungen nicht auf einen ebenso professionell handelnden Gegenpart trifft.

Das war in den Fällen, die mir vorgetragen wurden, ganz überwiegend der Fall. Daran beweist sich: Der Schlüssel zum Erfolg sind Vertrauen, Offenheit und ein enges Einvernehmen zwischen der Behörde und den externen Partnern. Ein solches Vertrauensverhältnis muss man sich aber bereits geraume Zeit vor dem Krisenfall erarbeiten. Und deshalb gilt wie überall: auch bei einer Pandemie zeigt sich ein innerer Zusammenhang zwischen dem Eindämmungserfolg und den zuvor geleisteten Anstrengungen.

Wie Sie den Übersichten unseres leitenden Arztes, Herrn Dr. Saldaña-Handreck entnehmen können, beklagen auch wir zwei Todesfälle, die auf Covid 19 zurückzuführen sind. Das bleibt bedauerlich, weist aber mit Blick auf die Gefährlichkeit des Virus eine relativ niedrige Mortalitätsrate auf und spiegelt auf der anderen Seite das engagierte Bemühen um jedes Menschenleben.

Im Hinblick auf einige irritierende Äußerungen aus dem politischen Raum in der Öffentlichkeit möchte ich in Ansehung des eingangs Gesagten deutlich feststellen: Jegliche Relativierung menschlichen Lebens, etwa nach Alter, nach gesundheitlicher Vorschädigung oder Behinderung verbietet sich nach unseren ethischen Vorstellungen. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist ein unmissverständlicher Reflex auf die menschenunwürdige Kategorisierung menschlichen Lebens durch die Nazi-Ideologie.

Die Statistik weist in der Summierung, Stand 19. Mai, 131 Infektionen im Landkreis aus. 120 davon sind nach RKI-Definition bereits genesen. Wir müssen uns gegenwärtig mit 9 positiven Coronafällen auseinandersetzen. 38 Bürger, darunter die unmittelbaren Kontaktpersonen, befinden sich in häuslicher Quarantäne. Bei diesen Zahlen können wir schon von einem Etappenerfolg sprechen, der uns die Möglichkeit einräumt, die strenge Kontaktsperre in weiten Bereichen zurückzunehmen, sofern die Abstands- und Hygieneregeln auch weiterhin penibel eingehalten werden.Bei aller Lockerungseuphorie sollten wir uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen: Die Pandemie ist zwar eingedämmt, aber nicht überwunden. Wir alle bewegen uns weiterhin auf einem schwankenden Boden:

  • Wir haben immer noch kein gesichertes Wissen darüber, welchem Infektionsweg wir die größte Aufmerksamkeit widmen müssen: der Tröpfcheninfektion, Schmierinfektion oder der Infektion über Aerosole? – Deshalb sind beispielsweise Indoor-Sportanlagen bislang geschlossen.
  • Damit stellt sich auch die Frage der Wirksamkeit von individuellen Schutzmaßnahmen, insbesondere Masken unterschiedlicher Kategorie.
  • Wir kennen auch die Ansteckungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit zur Umgebung in geschlossenen Räumen beziehungsweise im Freien, oder im Hinblick auf die jeweils eingehaltenen Abstände zwischen Personen bislang nur sehr unzureichend.
  • Wir stellen uns die Frage: Hat die Virusdosis, wie man inzwischen annimmt, einen entscheidenden Einfluss auf die Schwere des Krankheitsverlaufs?
  • Wie wirken sich die anderen Schutzvorkehrungen, etwa Flächendesinfektionen aus und insbesondere wie notwendig beziehungsweise wirksam sind diese in Kitas, in Schulen, in Gaststätten oder Gemeinschaftseinrichtungen?
  • Wir kennen die Langzeitrisiken, die sich für überlebende Infizierte ergeben, im Moment noch nicht.
  • Wir fragen uns, ist jemand der die Krankheit durchgemacht hat, vor einer erneuten Ansteckung gefeit?
  • Wir rätseln über das Dunkelfeld. Baut sich da unter Umständen unterschwellig durch ein diffuses Ausbreitungsgeschehen eine zweite Infektionswelle auf, die im Herbst an vielen Stellen gleichzeitig ausbrechen könnte?
  • Und wir stellen uns alle die bange Frage, wird dann unsere Überzeugungskraft ausreichen, genauso beherzt und frühzeitig gegenzusteuern, wie wir das alle im März dieses Jahres getan haben oder aber werden sich dann die Stimmen durchsetzen, die all die vorhergehenden Maßnahmen bereits für übertrieben beziehungsweise sinnlos gehalten haben?

Verwaltungsleitung geht weiterhin einen vorsichtigen Weg

Das alles sind keine theoretischen Fragen, sondern die hierauf zu gegebenen Antworten sind handlungsleitend für uns als Entscheider. Und hier stehen in den nächsten Wochen recht sensibel zu treffende Entscheidungen an - etwa zum richtigen Weg beim Übergang von der Kita-Notbetreuung über die eingeschränkte Regelbetreuung hin zum Normalbetrieb der Krippen, Kitas, Horte und der Kindertagespflege zur Debatte. Die Bildungsministerin macht sich hier einen schlanken Fuß, gibt einerseits ehrgeizigen Erwartungen und Standards Ausdruck. Sie weiß, dass das Personal durch die pauschale Entpflichtung der über 60jährigen erheblich verknappt wurde und schiebt andererseits die gesamte Gewährleistungsverantwortung auf die Landkreise ab.

Und die gleichen Fragen stellen sich im Hinblick auf die Wiedereröffnung der Schulen. In beiden Bereichen gibt es einen immensen Druck seitens der Elternschaft, denn von einer geregelten Betreuung hängt auch unter Umständen das Arbeitsverhältnis ab. Hier wirkt sich zudem die unterschiedliche Handhabung in den verschiedenen Bundesländern, aber auch im Land Brandenburg, verhängnisvoll aus. Wir in der Verwaltungsleitung stimmen in die verbreitete Euphorie nicht ein, sondern gehen weiterhin einen vorsichtigen Weg. Ich denke, auch niemand von Ihnen würde in dem Falle, dass es in einer Kindertagesstätte zu einer Infektion kommt, die Verantwortung dafür übernehmen, dass man im Vorfeld sehenden Auges ein bestehendes Schutzgesetz, wie die Eindämmungsverordnung, verletzt hat. Für uns ist das Infektionsrisiko mit höchster Priorität versehen, denn es hilft letzten Endes auch den Eltern nichts, wenn beim ersten Ansteckungsfall die gesamte Kita für 14 Tage unter Quarantäne gestellt wird, mit der Folge, dass die Eltern dann ebenfalls ihrer Beschäftigung nicht nachgehen können – und gegebenenfalls die kritische Infrastruktur notleiden wird.

Es bleibt uns gegenwärtig kein anderer Weg, als das gegenwärtige Infektionsniveau möglichst so lange zu halten, bis wir in 12 bis 18 Monaten einen Impfstoff zur Verfügung haben – also mit dem Virus leben lernen. Darüber hinaus müssen wir den Weg der schrittweisen Lockerung der Verhaltensregeln der Eindämmungsverordnung weitergehen, denn auch eine wirtschaftlich, sozial- und politisch stabile Gesellschaft hat eine substanzielle Belastungsgrenze. Wir werden also der Gesamtentwicklung Rechnung tragen und unser Instrumentarium, mit dem wir der Pandemie zu Leibe rücken, in dem Sinne neu justieren, dass wir es an die entspanntere Lage anpassen. – Allerdings! – Nach Maßgabe der bestehenden Gesetze, insbesondere der Eindämmungsverordnung.

Bündnis: Gemeinsam in Verantwortung gegen Corona

Das bedeutet im Klartext: Kontrolle ist gut – wo notwendig; Vertrauen in die Eigenverantwortung eines jeden von uns ist aber besser – Kontrolle tritt damit einen Schritt zurück. Das entspricht einerseits unserem Selbstverständnis von einer souveränen Bürgerselbstverwaltung, auf der anderen Seite müssen wir auch klar erkennen, in unserer komplexen Gesellschaft mit ihren ganz unterschiedlichen Freiheitsräumen ist eine durchgängige Kontrolle schlicht nicht zu leisten.Im Sinne des vorher Gesagten wollen wir aber mit allen Bürgern, gleich ob sie in Wirtschaft, Kommune, Politik, Kultur oder im sozialen Bereich tätig sind, ein Bündnis: Gemeinsam in Verantwortung gegen Corona, etablieren. Das bedeutet:

  • Mehr Eigenverantwortung statt staatlicher Bevormundung
  • Zwang nur dort, wo in Einzelfällen Regelverletzungen oder demonstrative Ignoranz eine klare Reaktion erfordern,
  • Ansonsten gilt: wir alle übernehmen Verantwortung für Menschen in unserer Reichweite, als Unternehmer, als aufgeklärte Bürger, als Behördenvertreter, als Verantwortliche in unseren Vereinen und Organisationen.
  • Wir sichern unseren Kunden, Vereinsmitgliedern, den Bewohnern unserer Einrichtungen und den Antragstellern in unseren Verwaltungen ein Höchstmaß an Schutz vor Ansteckung zu beziehungsweise weisen deutlich auf Risiken hin, die sich unserer direkten Einflussnahme entziehen
  • Dementsprechend praktizieren wir eine erfolgsorientierte und wirksame Eigenkontrolle.
  • Wir sorgen für die notwendige Transparenz und die erforderliche Dokumentation in geteilter Verantwortung mit den dazu berufenen staatlichen Stellen, etwa dem kreislichen Gesundheitsamt beziehungsweise dem Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt
  • Wir verstehen uns als Teil eines ausgreifenden Netzwerkes der gegenseitigen Information, des intensiven Austausches von Erkenntnissen und Kompetenzen
  • Die Wirksamkeit unserer Maßnahmen unterziehen wir regelmäßig gemeinsam einer Überprüfung, die Fehlentwicklungen möglichst frühzeitig erkennbar macht
  • Auch als Bürger wollen wir unsere Kontakte bewusster wahrnehmen und im Gedächtnis abspeichern, damit im Bedarfsfall Kontaktketten schneller rekonstruiert werden können,
  • Im Gegenzuge gilt aber auch: um lokal auftretende Infektionsherde schnell bekämpfen zu können, tragen wir, die sich als notwendig erweisenden übergangsweise verfügten Eindämmungsmaßnahmen mit.

Ich denke, wir haben uns diese Möglichkeiten in den zurückliegenden acht Wochen hart erarbeitet. Wir sollten aber die Mahnungen der Wissenschaft, der Bundeskanzlerin und unseres Ministerpräsidenten ernst nehmen, denn dieses Virus verzeiht keine Fehler.

Rolf Lindemann
Landrat

Datum: 20. Mai 2020

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