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Landrat äußert sich zur Friedenkundgebung der Beeskower Initiativen am 3. März

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein friedliches Zusammenleben,

ich würde Ihnen gerne einen Guten Abend wünschen, aber wir wissen alle, seit dem 24. Februar – dem Tag des Überfalls der russischen Streitkräfte auf eine freie und souveräne Ukraine und ihre Bürger - wird es noch lange keinen entspannten Abend geben.

Ich denke, wir alle haben das, was sich da im Moment in der Ukraine vollzieht, noch gar nicht richtig begriffen. – Und es ist auch schier unbegreiflich.

Der unglaubliche Rückfall des russischen Präsidenten Putin in die Denkkategorien des 19. Jahrhunderts, in denen man nach Gutdünken Grenzen verschieben konnte, das passt nicht mehr in unser Weltbild. Wir haben es offensichtlich mit einem Potentaten zu tun, der sich anmaßt, Schicksal zu spielen und darüber zu entscheiden, wie das Leben von Millionen von Menschen weiter verlaufen wird: ob Kinder ihre Einschulung erleben werden, sie sich als Erwachsene in ihren Talenten und Wünschen entfalten dürfen, ob sie jemals Eltern oder Großeltern werden, ob sie ihr kleines Glück finden dürfen – oder ob sie – und das ist die "Option Putin“ als junge Menschen sinnlos ihr Leben auf einem Schlachtfeld beenden.

Mehrere Hundert Menschen haben am 3. März 2022 mit einer Friedenskundgebung in Beeskow ihre Verbundenheit mit der Ukraine ausgedrückt. © Mario Behnke Mehrere Hundert Menschen haben am 3. März 2022 mit einer Friedenskundgebung in Beeskow ihre Verbundenheit mit der Ukraine ausgedrückt.

Menschen vom Schlage Putins – und er ist leider kein Einzelfall – hatte meine Generation eigentlich in die Geschichtsbücher verbannt.

Wir dachten, die Attraktivität unseres Gesellschaftsmodells, der individuellen Freiheit, der demokratischen Selbstbestimmung sei so selbsterklärend, dass es für sich selbst spräche.

Aber mit dem Psychoanalytiker C.G. Jung müssen wir erkennen: "Wir haben in unserer Naivität verkannt, dass unter unserer Welt der Vernunft eine andere begraben liegt“.

Gerade wir Bürger in Ostdeutschland sind sichtlich entsetzt, was sich da 700 Kilometer von uns entfernt seit einer guten Woche Tag für Tag vollzieht. – Und dieses Entsetzen ist auch erklärlich – sind doch die menschlichen Begegnungen mit Russen und mit Ukrainern hierzulande traditionell sehr viel ausgeprägter, als das für den Westen Deutschlands gilt.

Wir alle kennen liebenswerte Russen und Ukraine. Sie sind unsere Nachbarn und unsere Kollegen und sie bereichern unsere Gesellschaft mit ihren Talenten – denken wir nur an den kulturellen Bereich. Und deshalb dürfen wir uns durch diesen Konflikt nicht instrumentalisieren lassen, wir dürfen nicht Putins Geschäft besorgen, indem wir einen Konflikt, mit dem wir alle ursächlich nichts zu tun haben, in unsere Gesellschaft hineintragen.

Wir sollten deshalb dringend von der kindischen Diskussion ablassen, wer unter uns der ärgste Russlandverstehen ist. – Ja, wir waren alle blauäugig, was die Politik des Kremls anbelangt. Aber eins ist auch richtig, wir können uns die Potentaten in postsowjetischen Gesellschaften nicht aussuchen.

Wir dürfen darüber aber das gegenseitige Verstehen – wollen und das Bemühen um Verständnis füreinander nicht zum Schimpfwort werden lassen. Der einzige wirkliche Ausweg, der aus einer verfahrenen Situation, die ins Irrationale abzugleiten droht, bleibt das Gespräch miteinander. Das zeigt uns eindrucksvoll das intelligente Vorgehen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er weiß: Friedensverhandlungen führt man nicht mit Freunden – aber man wird sie führen müssen, wenn man den Frieden will. Es gilt die alte Erkenntnis Helmut Schmidt's: Jahrelanges Reden miteinander ist besser als eine Stunde schießen.

Ich habe deshalb einen großen Respekt, ja geradezu eine Bewunderung gegenüber der Haltung des Präsidenten Selenskyj, des Bürgermeisters Klitschko und vieler Abgeordnete des ukrainischen Parlaments – und selbstverständlich natürlich für die Haltung der ukrainischen Bevölkerung. Sie alle sollten uns Vorbilder sein. Präsident Selenskyj findet trotz seiner eigenen lebensbedrohlichen Lage mit seiner an die russische Bevölkerung gerichteten Ansprache genau die Worte, die seine Feinde am ehesten entwaffnen können. Mit seiner menschlich zugewandten Art hat er genau den richtigen Ton getroffen, um auch den unentschlossenen Westen – ja die ganze Welt – förmlich in die Solidarität zu zwingen. Und das ist im Moment nicht weniger wichtig, als die militärische Verteidigung.

Wir friedensgewöhnte und friedensverwöhnte Wohlstandsbürger haben weniger Angst, unsere Freiheit zu verlieren, als unsere Besitzstände aufzugeben und materielle Opfer erbringen zu müssen.

Glücklicherweise war es uns bislang vergönnt, solche existenziellen Bedrohungen nicht durchleben zu müssen. Deshalb fällt uns der Crash-Kurs, den wir im Moment durchlaufen, auch sichtlich schwer.

Insofern ist es für uns nachgerade beschämend, wie die Menschen eines Landes, das sich nichts sehnlicher wünscht, als Mitglied einer Wertegemeinschaft zu werden, auf die wir uns immer so viel zugutehalten – wie uns dieses ukrainische Volk zeigt, was unsere Freiheit und unsere demokratische Selbstbestimmung uns eigentlich wert sein sollten.

Wenn ich an die Proteste gegen eine angebliche „Coronadiktatur“ auf diesem Platz in den letzten Wochen zurückdenke, dann habe ich große Zweifel, ob wir alle uns unserer gepamperten Lebenslage wirklich bewusst sind. – Es gilt jetzt in die Wirklichkeit zurückzufinden.

Die Verlautbarungen des Kremls sind an Perfidie kaum zu übertreffen. Da ist von einer "Befriedungsaktion“ die Rede und davon, man wolle die Ukraine entnazifizieren. Das ist schlicht eine Verhöhnung der Opfer der „wahren Diktatur“ des Nationalsozialismus und zwar der Opfer in Russland wie in der Ukraine. Das ist Putins Neusprech; er versucht die Orwellsche Sprachwelt eins zu eins umzusetzen. Er will uns durch diese Begriffsverwirrung seine krude Realität aufzwingen. Diese Methode hat spätestens seit Trump's Fake News inzwischen weltweit wieder Konjunktur. Dem entgeht man nur, wenn man sein eigenes Gehirn einschaltet und sich sein kritisches Urteilsvermögen bewahrt.

Wo sind denn diese „Nazis“ in der Ukraine? Sind es die Kinder auf der Krebsstation im Keller des Krankenhauses Charkiw, die jetzt doppelt um ihr Leben bangen müssen – oder sind es etwa die unbewaffneten Menschen, die auf dem völlig zerstörten Freiheitsplatz verzweifelt auf die Trümmerwüste verweisen?

Ich denke, die Rollenverteilung ist eine grundlegend andere. Der einzige „Nazi“ in diesem Spiel sitzt in Moskau, warm und trocken – er gibt die Befehle, andere Länder zu überfallen, die Lebensgrundlagen ihrer Bürger zu zerstören und gewählte Präsidenten zu töten. Eine bekannte Nazimethode ist es auch, nach Goebbel'scher Manier die Presse gleichzuschalten oder sogar auszuschalten. Nazihaft wirkt auch seine bizarre Inszenierung – dieser aus der Zeit gefallene Männlichkeitskult, dieser altbekannte Sowjetstil – allein der sechs Meter lange Tisch – man glaubt ja geradezu an eine Neuverfilmung von Charlie Chaplins "Der große Diktator".

Aber alle Verwünschungen helfen nicht weiter – was hilft: Dass wir alle sichtbar sind, hier und heute – dass wir uns in die weltweite Empörung einbinden. Genau das steht auch der stärkste Diktator auf Dauer nicht durch.

Diese Regierungsverbrecher machen - wie gewöhnliche Kriminelle - alle den gleichen Fehler: Sie verkennen, dass sie am Tag danach den verächtlichen Blicken der menschlichen Gemeinschaft ausgesetzt sein werden – und das auf Lebenszeit. - Das ist die Vorhölle, die sich Wladimir Putin vor Augen führen sollte, wenn er den Kindern auf der Krebsstation eines Krankenhauses mit Raketen und Panzern entgegentritt.

Was jetzt nottut, ist tätige Hilfe – Dinge in Gang zu setzen, die in unserer Reichweite liegen. Ich kenne ganz viele Initiativen von Menschen, die medizinisches Material und Gerät, die Kleidung und Nahrungsmittel in die Ukraine bringen. Wir sollten die Dinge allerdings etwas strukturiert betreiben und uns deshalb an die bewährten Hilfsorganisationen wenden, denn wir müssen bedenken, durch den gewaltigen Flüchtlingszustrom ist auch die polnische Regierung an den Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Ich möchte an dieser Stelle auf die koordinierte Hilfe, etwa durch den Kreisfeuerwehrverband, die Ehrenamtszentrale, die Vereine vor Ort und letztlich die Gemeinden, aber auch den Landkreis, soweit seine Aufgabenzuständigkeit reicht. Ich bitte um Verständnis, dass die Kreisverwaltung die zivilgesellschaftlichen Initiativen im Moment zwar begleiten, aber nicht steuern kann, da wir gegenwärtig damit beschäftigt sind, 200 Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften zur Belegung vorzubereiten und darüber hinaus 300 Wohnungen mit Ausstattungsgegenständen und Möbeln versehen müssen.

Das ist eine immense logistische Aufgabe, bei der wir aus zeitlichen, aber auch aus Lagerungsgründen keine Möbelspenden annehmen können.

Ich möchte des Weiteren darauf hinweisen, dass alle Menschen, die zu uns kommen, umgehend eine Registrierung benötigen, da sie ansonsten die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verlieren- unter anderem den Krankenversicherungsschutz.

Die Registrierung erfolgt normalerweise bei der Bundespolizei beim Grenzübertritt und für diejenigen, die bereits in der Bundesrepublik sind, bei der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt bzw. seitens der Landesregierung wird darüber nachgedacht, in Schönefeld ebenfalls eine Registrierungsstelle einzurichten. Bei Fragen steht Ihnen die Ausländerbehörde des Landkreises Oder-Spree zur Verfügung. Wir werden am 4. März 2022, also morgen, auch ein Bürgertelefon unter der Nummer 03366 35-2003 einrichten.

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wir haben das Fluchtgeschehen 2015 und in den Folgejahren gemeinsam hervorragend gemanagt. Das sollte uns mit der Zuversicht versehen, dass es auch diesmal gelingen wird, alle Menschen, die zu uns kommen, menschenwürdig unterzubringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Rolf Lindemann
Landrat

Datum: 4. März 2022